Briefwechsel Georg Moritz Lowitz
Kurzinformation zum Brief | |
Autor | Selchow, Johann Heinrich Christian von (1732-1795)[1] |
Empfänger | Pütter, Johann Stephan (1725-1807)[2] |
Ort | Göttingen |
Datum | 11. Oktober 1763 |
Signatur | Universitätsarchiv Göttingen: D-23-9-2, Scan 768-823, Reinschrift vom 11.10.1763 Universitätsarchiv Göttingen: D-23-9-2,Scan 517-563, korrigierte Reinschrift (mit Schwärzungen) vom 28.10.1763 Universitätsarchiv Göttingen: Kur. 5756, Bl. 226r-239v, Entwurf, undatiert |
Transkription der Reinschrift | Hans Gaab, Fürth |
Hinweis | Der gesamte Text umfasst 55 Seiten. Davon wurden hier nur die ersten 16 Seiten transkribiert, da nur hier Lowitz betreffende Vorgänge angesprochen werden. Ab S 17 diskutiert Selchow die dort vorgestellten Vorgänge nur noch unter juristischen Aspekten, zur Klärung der Vorgänge wird hier nichts mehr beigetragen. |
Praes. d. 11. Oct. 1763.
Loco defensionis pro auertenda
Abgemüssigte rechtliche Vorstellung und Bitte
mein des Doct. und Profess. iuris ordinarii
von Selchow
in puncto praetensi libelli
famosi
[S. 1, Scan 768]
Königlich Großbritannische zur Churbraunschweig Lüneburgischen Georg
augustus-Universität bestallten Deputation hochverordnete Herren
Prorector und Adsessores
Magnifice
Hochwürdiger, Wohlgebohrne Herren,
Hochzuverehrende Herren,
[Randbemerkung]Species facti et historia litis.
[Erzählung des Tatbestands und der Geschichte des Streits.]
Es ist eine Eurer Magnificenz, so wohl als dem halben Deutschland bekannte Sache, daß seit dem Anfang des Monaths Aprill, auf dem Reitstall, und an vielen Häusern, sogar der Professoren und Bürger, hieselbst, schändliche Aufsätze angeschlagen sind, welche man so gleich von Seiten des academischen Gerichts für Pasquille angenommen,[3] und in diesem Gesichtspuncte auf der Verfasser derselben zu inquiriren angefangen hat.
Die Hauptveranlassung zu diesen bürgerlichen Kriege, hat, wie aus den ad acta N. I. II.[4] vorkommenden Aufsätzen selbst erhellet, eine Helena von neuer Schaffung, nemlich die beÿ dem hiesigen Universitäts Stallmeister Aÿrer[5] dienende Köchin, Marie Elisabeth Beckerin,[6] gegeben, welche, nach Inhalt der ersteren schändlichen Aufsätze, als eine Beÿschläferin des Stallmeisters ausgegeben wird.
[S. 2, Scan 769]
Zu gleicher Zeit wird in dem ersten Aufsatz behauptet,
der Stallmeister habe seine Räthe, die Professores Kulenkamp[7]
und Köhler[8], ingleichen den
D. Falkenhagen[9], in dieser
Sache zu Rathe gezogen, und sich von selbigen theologisch, juristisch und historisch die Rechtmässigkeit und
Ununschädlichkeit[!] des Beÿschlafs mit seiner Köchin beweisen
lassen. Er ladet daher diejenigen, welche ihn in diesem
Vergnügen stören würden, vor das Tribunal seines
angeblichen General-Fiscals[10], des Hofrath
Michaelis[11], um
sie daselbst zur Strafe zu ziehen.[12]
Diese Erdichtung ist in der Folge so weit ausgedehnet, und durch so vielerleÿ Aufsätze vervielfältiget worden, daß es ekelhaft seÿn würde, den Inhalt der lezteren zu erzählen, zumahl da sie fast insgesammt Erklärungen und Folgen des ersteren Aufsatzes sind.
Da indessen der damalige Prorector magnificus, Hl. D. Walch[13], natürlicher Weise, bemühet war, den Verfasser dieser an sich schändlichen Aufsätze zu entdecken, und man, nach der löblichen Göttingischen Denkungsart, sogleich in der Stadt verschiedene Personen nannte, welche man als Verfasser dieser Aufsätze ansahe: so wurde in der Nacht vom 16-17. April eine, N. 2. Actorum befindliche, mit griechischen Buchstaben geschriebene Instruction für den Hl. D. Walch in dessen Bibliothek geworfen, und ihn darin der Rath gegeben, behutsam zu verfahren, und nicht sogleich, ohne gegründeten Beweis,
[S. 3, Scan 769]auf gewisse Personen, als Verfasser, Verdacht zu werfen; noch auch diese Aufsätze als Pasquille zu betrachten.
Eine Reihe von Aufsätzen dieser Art, reizte die Aufmerksamkeit des ganzen Goettingischen publici ausserordentlich; zumahl da selbiges, beÿ den kleinen Kriege insgemein auf die lebhafteste Art Partheÿ zu nehmen pflegt.
Es wurde daher diese Sache das Aprillmährchen der ganzen Stadt; und vom Prorector zum Pedell, vom Oberpoliceÿcommissarus bis zum Rathsdiener; ja selbst vom Bürgerhauptmann bis zum Scherenschleifer, ist niemand in der Stadt, welcher nicht mit gleicher Neugierigkeit den Inhalt derselben erzählet, oder wenigstens selbigem nachgespüret, ihn angehöret und mit seinem Urtheile beehret haben sollte.
Und gewiß, es war nicht anders möglich, als daß in den langen Osterfeÿertagen, und den darauf folgenden academischen Ferien, beÿ den häufigeren Besuchen eine Neuigkeit dieser Art im Ober= und Unterhause bestritten und beurtheilet werden mußte; da die gewöhnlichen Wettergespräche bald erschöpfet, und selbst die Lieblingsneuigkeiten, von Abdankung des General Luckner[14] und des Husarenregiments, bereits aus der Mode gekommen waren.
Einige Tage vorher war ich mit dem in meiner Nachbarschaft wohnenden Prof. Lowitz, welcher mir vorhero ganz fremd war, auf dessen Aufmunterung, bekannt geworden, und ich bediente mich der damaligen Ferien, ihn einigemahl in seinem Hause zu besuchen, welches er auch ein einzigesmahl in dem meinigen erwiederte.
[S. 4, Scan 771]
Nun war der erste Aufsatz unter andern auch auf der
Wehnder Strasse[15] angeschlagen worden, woselbst ihn der Pr.
Lowitz selbst abgenommen hatte, und mir den Inhalt desselben
erzählte. Eine unschuldige Neubegierde bewog
mich, in der Gegenwart des Prof. Hamberger[16], beÿm Pr.
Lowitz, eine Abschrift von diesem Aufsatz zu nehmen,
welchen ich aber sogleich, ohne ihn irgend jemand mitzutheilen
(und selbst die niederträchtigste Bosheit meiner
Feinde hat mich dessen nicht beschuldiget), aus blosser
Achtung gegen die beleidigten Personen verbrannte.
Es war indesen nichts natürlicher, als daß auch in solchen Gesellschaften, denen ich in den Osterfeÿertagen beÿwohnte, von diesen Aufsätzen gesprochen, und der Inhalt derselben mit den, beÿ solchen Gelegenheiten, gewöhnlichen Veränderungen vermehret, verbessert, beurtheilet und getadelt wurde.
Diese tägliche, ja fast augenblickliche Gespräche von einer neuen Materie, welche in allen möglichen Gesellschaften vorkamen, haben auch mich also nothwendig hinreissen müssen, oft davon zu reden, ob ich schon gleich anfänglich den gerechtesten Mißfallen an der That überhaupt äusserte.
Hierin steckt also etwas so wenig ausserordentliches, daß man vielleicht mein Stillschweigen, beÿ dem allgemeinen Feldgeschreÿ der Stadt, für ebenso gezwungen würde ausgegeben haben, als man nachgehends meine Theilnehmung an diesen Discursen vergiftet hat.
[S. 5, Scan 772]
Habe ich indessen hierin gefehlt, so wird man keinen Unschuldigen
in der Stadt, und auf der ganzen Universität, finden.
Und unter vielen andern Personen, hat der Hl. Hofrath Michaelis
diesen Fehler mit mir vollkommen gemein, welcher
in dem Hause des Herrn Prof. Meister[17] das ganze
so genannte Pasquill, fast von Wort zu Wort, mit einer
bewunderungswürdigen Fertigkeit hergesagt hat, welches
mir sein eigner Schwager, der Hl. Schröter[18], auf das
Glaubwürdigste versichert hat.
Nun lebte ich mit dem größten Theil der beleidigten Personen theils in offenbarem guthem Vernehmen, theils in einer wenigstens gleichgültigen Entfernung. Mit dem Stallmeister Aÿrer, welcher mich, und ich ihn, kurz vorher besucht hatte, hatte ich ebenfals ein gutes freundschaftliches Vernehmen zu stiften angefangen, und war bereits im Begriff, meiner Gesundheit wegen, in dem nun abgewichenen Sommer, von ihm Unterricht im Reiten zu nehmen.
Der D. Falkenhagen war mein Wirth, und ich hatte ihm seit der Zeit, da ich beÿ ihm wohnte, solche Proben meiner aufrichtigen Freundschaft gegeben, daß ich Ursach zu haben glaubte, ihn würklich für meinen Freund zu halten.
Mit dem Hl. Prof. Kulenkamp, den ich jederzeit sehr hoch geschätzet hatte, lebte ich zwar in keinem vertrauten, aber doch wenigstens collegialischen Vernehmen; den Pr. Köhler aber verlangte ich weder als Freund, noch als Feind zu kennen.
[S. 6, Scan 773]
Was endlich den Hl. Hofrath Michaelis anbetrifft, welcher
am allerwenigsten angegriffen ist: so hatte mich selbiger
zwar würklich beleidiget, jedoch nicht persönlich, sondern in
Rücksicht auf meine Arbeiten, an den Göttingischen
gelehrten Anzeigen. Es war also natürlich, daß ich, dergleichen
künftige Beleidigungen zu vermeiden, ihm meine
Arbeit aufkündigte; und wenn dis eine Rache zu nennen
ist: so ist sie dem Verhältniß der empfangenen Beleidigung
wenigstens angemessen. Soll es aber eine Vermuthung
seÿn, Pasquille gemacht zu haben, daß man den
Hofrath Michaelis nicht zärtlich liebt, so möchten
wenige Personen in der Stadt seyn, welche nicht in gleichem
Verdacht, in Ansehung eines Mannes stehen müsten, dessen
Lieblingsgrundsatz ist: infelix est, quem nemo odit.[19]
Kurz vor dieser Zeit war indessen der Stallmeister Aÿrer wegen der berüchtigten Köchin, mit dem P. Lowitz, in Streit gefallen; indem sich beÿde über den Besitz derselben zankten, welche Untersuchung ich aber, als ein neutraler Zuschauer, den beÿden Fechtern selbst überlasse. Der Stallmeister, welcher die persönlichen Verdienste dieser Person, sowohl als der Pr. Lowitz, zu kennen scheinet, suchte sich im Besitz zu erhalten, und der Pr. Lowitz bemühte sich, selbigen wieder zu bekommen.
Diese unglückliche Streitigkeit, welche würklich lis non de tribus capellis, sed de une tantum capella, ist,[20] hat zu dem ganzen gegen den P. Lowitz eintretenden Verdacht Gelegenheit gegeben, und zugleich den armen
[S. 7, Scan 774]
Prof. von Selchow, ob torto collo[21] in selbigen hinein
gezogen; ohnerachtet er niemahls einen Mitbesitz an
diesem berüchtigten corpore delicti gesucht hat. Hier
möchte man mit dem Horaz sagen
Est quoque post Helenam cunnus deterrima belli caussa;[22]
Ich hatte nemlich das Unglück, von der ganzen Streitigkeit dieser beÿden Männer nichts zu wissen, und sezte daher meinen, kurz vorher mit dem Pr. Lowitz angefangenen Umgang, auf einige Tage fort, weil ich unmöglich glauben konnte, daß es ein Staatsfehler seÿ, mit einem keiner Übelthat bishero überführten Professor ein freundschaftliches Vernehmen anzufangen.
Allein eben dieser unschuldige und höchst gleichgültige Umgang von einigen Tagen, hat zu meinem nachherigen Verdruß Gelegenheit gegeben.
Denn als kurz darauf der erste berüchtigte Aufsatz zum Vorschein kam: so war der Stallmeister der erste, welcher den Pr. Lowitz in Verdacht zog, als ob er der Verfasser davon seÿ; und sein fidus Achates[23], und Wein= und Tischgenosse der D. Falkenhagen, hat ihn ohne Zweifel in diesem Verdachte gestärket; indem diese ganze Zeit hindurch beständige öffentliche Versammlungen der beleidigten Personen beÿm D. Falkenhagen angestellt; die Gründe des von ihnen selbst geschmiedeten Sÿstems abgewogen, und der Aufsatz hiervon verfertiget wurde. Hierzu hat der D. Falkenhagen
[S. 8, Scan 775]
dem Stallmeister unstreitig seine Feder geliehen; indem es
sonst unbegreiflich seÿn würde, daß ein Stallmeister von indiciis
proximis, von einem Mÿops[24] u. d. g. reden oder wissen
sollte, daß das Wort council englisch seÿ.
Ich lebte indessen mit meinem Wirthe, so wohl, als mit dem ihn oft besuchenden Stallmeister, auf eben den freundschaftlichen Fuß fort; und der Doctor, welcher sowohl als der Stallmeister in dem Aufsatze beleidiget war, nahm von diesen Augenblick gegen mich die Person eines Kundschafters an, und suchten daher meinen Besuch beÿ dem Pr. Lowitz zu vergiften. Denn beÿde schäumten für Wuth, und machten Himmel und Hölle rege, um ihren Beleidiger zu entdeken, und ihre Rache an ihm auszuüben.
Ehrliche Leute sind leicht zu betrügen. Als daher der D. Falkenhagen mir selbst, wenn ich ihn besuchte, oftmalige Gelegenheit gab, von der Sache zu sprechen: so ermangelte ich nicht, ihm meinen guten Rath zu geben, und ihn anzumahnen, die erlittene Beleidigung mit Verachtung zu bestrafen, zumahl da sich die schändlichen Aufsätze, in rechtlichem Verstande, nicht zu Pasquillen machen liessen.
Diese in der besten Absicht geführte Reden wurden sogleich, auf eine vorher als niederträchtige Art, auf dem Reitstall wieder erzählet; und in der boshaftesten Absicht vom Stallmeister denunciired, auch von seinem Original, dem D. Falkenhagen, im Gericht mit einer scheinheiligen Judasmine bekräfti-
[S. 9, Scan 776]
get. Ist es möglich, die Verräthereÿ gegen einen Freund und
Hausgenossen weiter zu treiben ? Und verdient ein Mann
von einer so erklärten Niederträchtigkeit die Achtung
eines rechtschaffenen Mannes ?
Wie mußte ich also in Erstaunung und Verwunderung gerathen, als ich noch im April in gewisse Erfahrung brachte, daß man nicht nur in der Stadt, sondern selbst im academischen Gerichte, auf die niederträchtige Einstreuungen meines Wirthes, mich mit in den schändlichen Handel zu ziehen anfing ! und zwar unter dem allerliebsten Vorwand:
Die Schrift seÿ aus der Feder eines Juristen geflossen, daher es der Prof. von Selchow seÿn müsste, welcher dem P. Lowitz die Feder dazu geliehen hätte.
Ich gerieth natürlicher Weise über diese empfindliche Nachricht in eine ausserordentliche Hitze, und ich schäme mich der gegen meine Diffamanten gebrauchten Schimpfreden so wenig, daß ich vielmehr wünschte, eine Sprache zu verstehen, in welcher ich härtere Schimpfwörter für diese Ehrenschänder entdecken könnte.
Weil ich mir indessen damahls noch nicht vorstellen konnte, daß mein sauberer Wirth, der D. Falkenhagen, würklich seine Niederträchtigkeit so weit getrieben haben würde, daß er selbst einen Denuncianten gegen mich abgeben würde: so gab ich mir alle ersinnliche Mühe, von ihm schändlichen Diffamanten zu erfahren. Denn da ich Vermuthung hatte, daß der Stallmeister
[S. 10, Scan 777]
mich auf eine ehrenrührige Art ins Gespräch zu bringen
suchte: so war meine Absicht, von dem Doctor, den ich noch
nicht gern verdammen wollte, ob es wahr wäre, zu erfahren;
um den Stallmeister so dann ex lege diffamari,[25] als
einen schändlichen Diffamanten zu provociren.
Die beÿ der Deputation hierin vorkommende Sachen wurden damahls in solcher Verschwiegenheit tractiret, daß ich noch denselben Tag, als der D. Falkenhagen citirt war, die Sache erfuhr, und in meiner Nachricht noch vielmehr durch seine einfältig geheimnißvolle Manir bestärkt wurde (denn eine Plaudertasche sieht würklich einfältig aus, wenn sie die Mine eines verschwiegenen annehmen will).
Zu diesem Ende beschwor ich ihm würklich den 28. April beÿ aller mir bisher versicherten Freundschaft, mir zu sagen: ob man mich als einen Theilnehmer des so genannten Pasquils von Seiten des Stallmeisters ansähe, und ich also meine gerichtliche Satisfaction vom Stallmeister fordern könne ? Allein diese Schlange, welche ich zeithero zu meinem Verderben in meinem Busen genährt hatte, zog sich zurück, und verdrehte noch dazu die desfalls mit ihm gehabte Unterredung, wie ich aus dem N. 8 actorum befindlichen Verhör ersehen habe, auf die schändlichste Art, daher ich von dem Augenblick an seinen Umgang verabscheuete.
So überzeugt ich aber auch von der Bosheit meines Wirthes war: so konnte ich doch von diesen Muthmassungen noch
[S. 11, Scan 778]
keinen gerichtlichen Gebrauch machen; und erwartete daher
den ersten Schritt von Seiten des academischen Gerichts
mit aller Unerschrockenheit eines guten Gewissens.
Nimmermehr aber hätte ich mir vorstellen können, daß eine hochlöbliche Universitätsdeputation, auf die blosse denunciation der beÿden
Beleidigten, von Rache schäumenden, und folglich nach allen göttlichen und menschlichen Rechten höchst verwerflichen |
Personen, eine gerichtliche Untersuchung gegen mich begründen würde. Es scheinet zwar, als ob man selbst diese Unbequemlichkeit eingesehen, und daher im Eingang N. 6. actor. sagt: man habe nicht auf die blosse Narrata des beleidigten denunciirenden Stallmeisters in der Untersuchung fortfahren; sondern andern unverdächtige Personen vernehmen wollen; da doch der D. Falkenhagen in der That beleidigter, und folglich Partheÿ ist, und doch als Zeuge in einer Sache produciret werden soll, worin er selbst interessirt und von Rache eingenommen ist. Wie dieser Widerspruch gehoben werden könne, und was für einen Eindruck er beÿ dem gegen mich beobachteten Verfahren machen müsse, ist leicht einzusehen, und behalte ich mir des falls und des übrigen Verfahrens quaeuis competentia contra iudicium academicum[26] ausdrücklich bevor.
[S. 12, Scan 779]
Endlich erschien den 16 Jul. der fürchterliche Tag, an welchem
man mich von Seiten des academischen Gerichtes,
wegen dieser herrlichen Denunciationen vorladen ließ;
und ob man wohl sonst gegen Collegen die Achtung
bezeuget, sie nicht auf der Concilienstube,[27] sondern in dem
Hause des zeitigen Prorectors zu vernehmen: so mußte
ich doch auch diese Kränkung erfahren, und durch die en
face[28] stehende Pedellen, Carcerknecht
u.s.f.[29] im Triumpf
zum Verhör an einen Ort aufgeführet werden, welchen
ich von meinen ersten Studentenjahren her, nicht anders
als beÿ meiner Beeÿdigung, oder als patronus caussae
gesehen hatte.
Was ich bey diesem Verhör für Aeusserungen gethan habe; ist aus N. 18 actorum ersichtlich; ob ich mich gleich in der ausserordentlichen Hitze eines gerechten Affects und Unwillens vielleicht nicht durchgehends bestimmt genug ausgedrückt haben mag, welches man einen ehrlichen und so empfindlich beleidigten Manne nicht übel nehmen kann. Gleichwie nun an der Fortsetzung dieses mir, obschon widerrechtlich, gegen mich eröffneten Processes sehr gelegen ist; so bin ich würklich Eurer Magnificenz dafür verbunden, daß dieselben endlich hierin meinen Wünschen und sehnlichen Verlangen Raum gegeben haben. Indessen kann ich meine Verwunderung darüber nicht bergen, daß dieselben mir die Zumuthung hat machen können, mittelst eines Reinigungseides[30]
[S. 13, Scan 780]
die gegen mich angebrachten indicia zu entkräften; da ich würklich
weniger als ein Justinianeus nouus[33]
oder Dupondius[32] seÿn
müßte, wenn ich glauben könnte, daß solche herliche und
allerliebste indicia einen Mann von meinen Umständen
zum purgatorio graviren[33] könnten; man müßte dann
ex qualicumque animi rancore[34] sich vorgesetzt haben, mit
Wegsetzung allen gesetzmässigen Vermuthungen jemand
schuldig zu finden; welches ich mir doch beÿ einem illustri
iudicio academico unmöglich vorstellen kann.
Ich habe daher mich des, nach den Gesetzen, mir zustehenden beneficii defensionis,[35] nothwendig bedienen, und inspectionem actorum[36] mir erbitten müssen; für deren hochgeneigte Verstattung Eurer Magnificenz meine Danksagung abzustatten für nöthig erachte.
Zu gleicher Zeit lebe ich aber der gerechtesten Hoffnung, daß mein zukünftiger Hl. Urthelsfasser die Gründe meiner Vertheidigung natürlich und stringent finden, und mich von der ungebührlichen Klage nicht allein völlig freÿsprechen, sondern zugleich quaeuis competentia contra denunciatores, et ipsum illustre iudicium academicum imperite indicans (quod saluo eius honore dictum sit) vorbehalten werde.
[Randbemerkung] Introitus defensionis.
[Der Anfang der Verteidigung]
Überhaupt ist der Proceß, in welchen mich die niederträchtige Denkungsart meiner Feinde zu verwikeln gesucht hat, und in welchem ich jetzo die Feder zu ergreifen genöthigt bin, von der Beschaffenheit, daß man
[S. 14, Scan 781]
schwerlich ein Beÿspiel davon in der ganzen gelehrten
Geschichte der Teutschen hohen Schulen, und viel weniger
in den hiesigen Landen antreffen wird.
Ein Bedienter des Königs, dem selbst seine Feinde den Ruhm eines untadelhaften Lebenswandels, und der genauesten Beobachtung seiner Amtspflichten nicht absprechen können, wird, ohne die geringsten mit der Sache zusammen hängenden Gründe eines ehrenrührigen Verbrechens beschuldiget, auf Anzeigen, durch welche man die halbe Stadt zu Mitverbrechern machen kann, und welche in den öffentlichen Versammlungen der beleidigten Personen, auf dem Reitstall und beÿm D. Falkenhagen durch die Mehrheit der Stimmen festgesezt, einem Denuncianten, dem Stallmeister, in die Feder dictiret, von dem andern Denuncianten aber, dem D. Falkenhagen und seinem dazu gestimmten Hausgesinde im Gerichte wiederholet, und in dem halben Teutschlande verbreitet worden sind.
Gewiß ein Verfahren, welches in der ärgerlichen Geschichte der Teutschen hohen Schulen vorzüglich aufgezeichnet zu werden verdienet !
Die erschreklichen Verunglimpfungen meines guten Namens geben mir ein natürliches Recht, gegen meine schändliche Verläumder auf eine nachdrückliche, und der Sache angemessene Ahndung zu dringen. Diese behalte ich mir in Ansehung des unfläthigen N. 28 der Acten vorliegenden
[S. 15, Scan 782]
Schreibens des Prof. Köhler insbesondere vor;
welches er vermuthlich
in der Begeisterung seiner geheimen Räthin, der Weinflasche,
aufgesetzt hat, indem sonst ein vernünftiger Mann,
welcher nicht seinen Titel durch eine niedrige Aufführung
schänden will, unmöglich solche Schimpfwörter brauchen würde,
welche man kaum in dem Munde eines Bootsknechtes
vermuthen sollte.
Ich werde daher, mit Eurer Magnificienz Erlaubniß,
die gegen mich angeblich vorkommende indicia, welche
man mit diesem Namen zu freÿgebig beehret hat, in
ihrer natürlichen, daß ist, lächerlichen Gestalt zeigen, denn
- - ridendo dicere verum quid vetat?[37]
ohne mich übrigens auf die den Prof. Lowitz betreffende
Beschuldigungen ein zu lassen; welche mich nichts angehen,
und von ihm selbst entkräftet werden müssen.
Eben so wenig werde ich jezo in die Untersuchung des bishero gegen mich beobachteten Verfahrens eindringen, da ich den ganzen Proceß als mich nicht angehend, noch zur Zeit betrachte, mir aber dem ohnerachtet in omnem eventum,[38] die deductionem nullitatum[39] (cum longa sit haec fabula) vorbehalte, um sie dereinst öffentlich darzustellen.
Zu gleicher Zeit lebe ich der gerechtesten Hoffnung, daß Euer Magnificenz eine lebhafte und empfindliche Schreibart um desto weniger als einen Mangel der Ehrfurcht gegen meine Richter auslegen werden, da sie bloß meine rasend-witzigen Denuncianten in einer höchst
[S. 16, Scan 783]
empfindlichen Ehrensache betrifft, und bey dem Schandschreiben
des Prof. Köhlers, welches ärger als alle Pasquille ist, und
durch den Büttel verbrannt werden müßte, als einen kostbaren
Theil der Acten, um diese Schmähschrift zu verewigen
aufbehalten hat: Und beÿ solchen Beschuldigungen kann ein
ehrliebender Mann nicht hitzig genug schreiben.
[Randnotiz] Thema defensionis.
[Gegenstand der Verteidigung]
So viel ich nun aus den sämmtlichen Acten errathen habe: so erstreckt sich der Verdacht, welchen man auf eine zwar sehr freÿgebige, aber ehrenrührige Art auf mich geworfen hat, auf das N. I. et II. actorum vorliegende erste und dritte Pasquill. Ich würde vielleicht auch diese Vermuthung nicht auf einen geringen Grad der Wahrscheinlichkeit, beÿ den gegen mich geschehenen dunkeln und unbestimmten Aussagen, haben bringen können, wenn nicht Eurer Magnificenz selbst in dem N. 13 actorum vorliegenden Bericht an eine höchstpreisliche Landesregierung, meiner geringen Gabe zu rathen zu Hulfe gekommen wären, in den Worten:[40]
Da sich nun einige starcke indicia wider den Prof. Lowitz und einige etwas schwächerere gegen den Prof. iuris ordinarium von Selchow äussern (denn der Entwurf des ersten und dritten Pasquills scheint aus der Feder eines Juristen geflossen zu seÿn). |
Ich folge daher diesen wohlgemeinten Winke, und werde mit Eurer Magnificienz Erlaubniß untersuchen:
1) | Ob würklich eine Pasquill vorhanden seÿ? | |
2) | Ob die gegen mich so begierig ergriffene indicia vel quasi[41] zur Sache gehörig und erwiesen sind? | |
...
[S. 17-54]
[S. 55]
[...]
De super nobile illustris iudicii officium decentes inplorando
[Von dem überaus edlen und ruhmreichen Amt des Richters gebührend bittend]
Jo. Henr. Chr. de Selchow D.
---- ---- ---- Si quis
Opprobriis dignum lacerauerit; inter ipse:
Soluentur risu tabulae; tu missus abibis.
Horatius.
[--- ---- --- wenn nun
unsträflich Selber er ist, der den Schimpf und Schande Verdienenden anbellt?
Dann geht lachend der Handel zur Ende, du selber gehst frei aus!
Horaz: Saturae 2,1, Zeile 84-86]
Fußnoten
- ↑ Der Jurist Johann Heinrich Christian von Selchow (1732-1795) war seit 1757 außerordentlicher Professor der Rechte, 1762 dann ordentlicher Professor in Göttingen.
- ↑ Das Schreiben wendet sich offensichtlich an den Prorektor der Universtität: Der war vom 04.07.1763 bis zum 03.01.1764 Johann Stephan Pütter (1725-1807) Prorektor. Er war seit 1753 ordentlicher Professor der Rechtswissenschaften an der Universität Göttingen.
- ↑ Im folgenden, nicht transkribierten Teil beginnt Selchow eine spitzfindige juristische Untersuchung, ob es sich bei diesen "Aufsätzen" überhaupt im juristischen Sinne um eine Pasquille handelt.
- ↑ Die Akten Nr. I umfassen die gesammelten Pasquillen. Nr. 2 enthält die Anklage des Stallmeisters gegen Lowitz.
- ↑ Johann Heinrich Ayrer (1732-1817) war seit 1760
Stallmeister in Göttingen, wobei er den Rang eines ausserordentlichen Professors hatte.
- Wähner, Andreas Georg: Tagebuch aus dem Siebenjährigen Krieg. Bearbeitet von Sigrid Dahmen. (= Quellen zur Geschichte der Stadt Göttingen, Band 2). Göttingen: Universitätsverlag 2012, S. 162, Fußnote 1075.
- ↑ Maria Elisabeth Becker war seit 1762 beim Stallmeister
Ayrer als Köchin angestellt.
- Wagener, Silke: Pedelle, Mägde und Lakaien: Das Dienstpersonal an der Georg-August-Universität Göttingen 1737-1866 (= Göttinger Universitätsschriften: Serie A, Schriften; Bd. 17). Göttingen: Univ., Diss. 1994, S. 472.
- ↑ Lüder Kulenkamp (1724-1794) war Professor für Philosophie in Göttingen.
- ↑ Johann Tobias Köhler (1720-1768) war ebenfalls Professor für Philosophie in Göttingen.
- ↑ Johann Heinrich Falkenhagen (1720-1784) war Privatdozent der Rechtswissenschaften in Göttingen.
- ↑ Nach Zedlers Universallexikon 9, 1734, Sp. 977 ist ein Fiscal "ein Fürstlicher Beamter, der der Obrigkeit bestes in Acht nimmt. Ein peinlicher Fiscal wird der genennet, der einen wegen eines Lasters, an Stat des Fürsten oder Amts peinlich anklaget, entweder gar auf den Tod, oder zu einer grossen Geld=Busse. Ingleichen wird derjenige also genennet, welcher einer Obrigkeit Interesse wahrnimmmt".
- ↑ Johann David Michaelis (1717-1791) war Theologe und Orientalist an der Universität Göttingen. U.a. er entwarf für die dortige Akademie der Wissenschaften die Satzung und war einige Zeit Sekretär, dann Direktor dieser Einrichtung.
- ↑ Selchow fasst hier den Inhalt des ersten, am 3./4.04.1763 angeschlagenen Pasquills zusammen.
- ↑ Christian Wilhelm Franz Walch (1726-1784) war protestantischer Kirchenhistoriker und Professor der Theologie in Göttingen.
- ↑ Nikolaus Graf von Luckner (1722-1794) trat 1757 in hannoveranische Dienste, wo er ein Husarenkorps aufstellte. Nachdem dieses 1762 aufgelöst wurde, ließ sich Luckner von den Franzosen anwerben.
- ↑ Die Wehnderstraße (heute Weender Straße) war eine von Nord nach Süd verlaufende Hauptstraße von Göttingen. Lowitz bewohnte hier das Haus Nr. 68, das ist die heutige Weender Straße 37. Vgl. den Grundriss von Göttingen.
- ↑ Georg Christoph Hamberger (1726-1773) war seit 1755 außerordentlicher Professor der Philosophie, ab 1663 ordentlicher Professor in Göttingen.
- ↑ Christian Friedrich Georg Meister (1718-1782) war seit 1753 ordentlicher Professor der Rechtswissenschaften in Göttingen.
- ↑ Michaelis heiratete 1759 in zweiter Ehe
Louise Philippine Antoinette Schröder (12.06.1739-05.02.1808). Ihr Vater,
der Oberpostmeister Johann Eberhard Schröder (22.07.1704-09.07.1761), stammte aus Hannover und
hatte am 5. Juli 1740 in Göttingen das Bürgerrecht erhalten.
Bei dem angesprochenen Schwager muss es sich um einen Bruder der Ehefrau von Michaelis gehandelt haben.
- NDB XVII, 1994, S. 427-429 (Verfasser: Christoph Bultmann)
- Wellenreuther, Hermann (Hrsg.): Göttingen 1690-1755. Studien zur Sozialgeschichte der Stadt. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1988, S. 393, Tab. IV, Nr. 741.
- ↑ Infelix est, quem nemo odit: Unglücklich ist, wen niemandem hasst.
- ↑ welche würklich lis, non de tribus capellis, sed de une tantum capella, ist: welche wirklich Streit, nicht um drei Ziegen, sondern nur um die eine Ziege ist.
- ↑ obtorto collo: widerwillig.
- ↑ Est quoque post Helenam cunnus deterrima belli caussa:
Es ist auch nach Helena das Frauenzimmer der schlechsteste Grund für einen Krieg.
Horaz: Satiren - ↑ fidus Achates: treuer Freund. Achates ist in Vergils Aeneis der beste Freund und Gefährte des trojanischen Helden Aeneas.
- ↑ Myopia ist die Kurzsichtigkeit. Wer daran litt, war ein Myops.
Vgl. Zedlers Universallexicon 22, 1739,
Sp. 1718.
In seiner Anklageschrift gegen Lowitz hielt es der Stallmeister für nicht glaubhaft, das der zu nächtlicher Zeit ein Pasquill an dem seinen gegenüber liegenden Hause abgenommen haben soll, denn es sei unglaublich, "daß der Hl. Professor Lowitz als ein Mÿops zur nächtlichen zeit, wo kein Mondschein gewesen einen solchen Anschlag aus seinem Zimmer habe bemercken können". - ↑ Ex lege diffamari: Der die Beschuldigung erhebt, muss sie beweisen oder stillschweigen.
- ↑ Einspruch gegen die Eignung des Akademischen Gerichts.
- ↑ Die Concilienstube befand sich bis 1764 im Kollegiengebäude.
Sie diente der Universität als Sitzungszimmer der Concilienversammlungen sämtlicher dazu gehöriger
Professoren und auch für Verhandlungen des akademischen Gerichts.
- Mittler, Elmar; Purpus, Elke; Schwedt, Georg: "Der gute Kopf leuchtet überall hervor": Goethe, Göttingen und die Wissenschaft. Göttingen: Wallstein-Verlag 1999, S. 118
- ↑ en face: davor, gegenüber.
- ↑ Lowitz hat sich darüber nicht aufgeregt.
- ↑ Bei unvollständiger Beweislage wird die Unwahrheit einer behaupteten Tatsache durch einen Reinigungseid beschworen. Der Reinigungseid wird einem Angeklagten auferlegt, um ihm Gelegenheit zu geben, seine Unschuld durch eine Eidesleistung zu bezeugen.
- ↑ Der Codex Iustinianus ist Teil des röischen Zivilrechts. Wenn Selchow also ein "Justinianeus nouus" wäre, wäre er Vertreter eines völlig neuen Zivilrechts.
- ↑ Der Dupondius war eine römische Münze, deren Masse mit der Zeit immer mehr abnahm.
- ↑ zum Purgatorio graviren: Zum Fegefeuer verdammen.
- ↑ ex qualicumque animi rancore: aus einem so beschaffenen boshaften Geist heraus.
- ↑ beneficii defensionius: Wörtlich die Wohltat der Verteidigung, gemeint ist hier das Recht auf Verteidigung.
- ↑ inspectonem actorum: Akteneinsicht.
- ↑ ridendo dicere verum quid vetat?: Was hindert, dass einer lachend die Wahrheit sagt?
- ↑ in omnem eventum: für alle Fälle.
- ↑ deductionem nullitatum: Aufzeigen der Nichtigkeit.
- ↑ Diese Feststellung stammt nicht von Pütter, sondern von dessen Vorgänger als Prorektor Walch. Vgl. Walchs Stellungnahme vom 7. Mai 1763.
- ↑ Indicia vel quasi: Indizien oder dergleichen.