Briefwechsel Tobias Mayer


Kurzinformation zum Brief  
Autor Euler, Johann Leonhard (1707-1783)
Empfänger Mayer, Tobias (1723-1762)
Ort Berlin
Datum 25. Dezember 1751
Signatur SUB Göttingen: Mayer 15.2 (Nachlass)
Transkription Roth, Erwin: Tobias-Mayer, Leonhard Euler, Briefwechsel 1751-1755. Marbach: Tobias-Mayer Museum 1993, S. 70-71
Euler-Mayer-Correspondence, S. 44-45
Übersetzung Eine englische Übersetzung von Forbes finden Sie hier

Hochedelgebohrner Herr,
Hochgeehrtester Herr Professor!


Ich habe mich schon vor geraumer Zeit verschiedene mal bemühet die refractiones astronomicas in unserer Atmosphaer bloß allein aus der Theoria aeris deutlich zu bestimmen. Ich habe aber in den hiebey herausgebrachten Aequationen so viel Schwierigkeiten angetroffen, daß ich fast allen Muth sinken lassen, diese Untersuchung weiter vorzunehmen; inzwischen werden Ewr. Hochedelgeb. des H. BKouguers Abhandlung über diese Materie gesehen haben, in welcher er die Tabulam refractionis schön herausbringt, obschon mir die theoretische Untersuchung nicht vollständig genug scheint. Die gantze Schwierigkeit beruhet zwar nicht so wohl in der Theorie selbst, als in der Analysi aequationum differentialium, welche sich nicht dergestalt wollen integrieren lassen, daß die Approximation für alle obliquitatis angulos tüchtig werde.

Was die von mir entworfene causam gravitatis anlangt, so sehe ich den Einwurf, daß die attractio den massis nicht nothwendig proportional seyn müsse, von keiner grossen Erheblichkeit an, indem ja noch durch kein einziges Phaenomenon ausgemacht ist, daß die vires attractivae corporum coelestium ihren massis proportional sind. Vielmehr hat Neuton aus diesem Grunde die massas zu bestimmen gesucht, indem man dieselbn sonsten aus keinem andern anzugeben vermögend ist. So bald man nun den Satz, daß die vires attractivae den massis proportional seyen, in Zweifel zieht, welcher sich auf eine blosse hypothesin gründet, so fällt dieser Einwurf gegen meinen Begriff gäntzlich weg. Jedoch gestehe ich gern, , daß diese meine Erklärung noch zu unvollständig ist, und begnüge mich dadurch dargethan zu haben, daß die gravitas eine causam mechanicam haben könne, indem [s]ich viele einbilden, daß die Unmöglichkeit davon genug nun bewiesen worden. Des H. Müllers Abhandlung über diese Materie habe ich zwar gelesen, erinnere mich aber daraus nur so viel, daß die von ihm vorgebrachte Erklärung schnurstracks mit den principiis mechanicis streite, indem dieselbe darauf beruht, daß der zwischen zwey himmlischen Cörpern befindliche Aether eine geringe vim elasticam habe, welches den principiis aequilibrii gerad entgegen ist. Hingegen ist aus den principiis mechanicis gewiß daß wo ein fluidum elasticum in Bewegung geräth, daselbst seine vis elastica vermindert werde. Dahero darm man nur zeigen, daßcirca corpora coelestia der Aether in Bewegung gesetzt werde, so wird begreifflich, wie daher die gravitatio entspringen könne, so lang aber der Aether in Ruhe ist, so ist dieses unmöglich.

Die theoretische Bestimmung des motus apogaei Lunae ist eines von den schwersten Stücken in dieser Theorie, indem derselbe von allen inaequalitatibus motus dependirt, dahero man dieser vorher erkannt haben muß, ehe man den motum apogaei bestimmen kan. Insonderheit entsteht die wahre grösse desselben von der inaequalitate ab angulo = &omega - ρ pendente, nach Ewr, Hochedelgeb. Buchstaben. Ich habe meine Abhandlung darüber nach Petersburg geschickt, wo sie mit der H. Clairaut Preißschrift gedruckt werden soll. Nach der theoria attractionis Neutoniana sollte freylich vis centripeta der Erde, wegen der figura sphaeroidica etwas a ratione quadratorum distantiae inversa abweichen, und wann z die distantiam andeutet, so müsste die Formul dieser vis allso aussehen A/zz + B/z4, wann nehmlich der Mond im aequator ist, hat er aber eine Declination, so käne dieselbe auch noch in diese Formul. Dahero bin ich bey nahe versichert, daß die noch übrigen Irregularitäten des Monds, welche durch keine Theorie herausgebracht werden können, aus diesem Grunde herrühren. Zwar würde der terminus B/z4 nur die coefficents inaequalitatum etwas weniges afficieren, ohne neue zu gben. Allein wann der Mond nicht im aequatoro befindlich, so müsste eine inaequalitas vorhanden seyn, so ab ejus declinatione dependirte. Wann die Figur des Monds selbsten auch nicht sphaerisch ist, so entstehen daher besondere inqeuqlitates in ejus motu, welche aber hauptsächlich nur den motum apogaei afficiren.

Wenn Ewr. Hochedelgeb. in Ansehung der atmosphaerae Lunae nur das Phaenomenon nicht läugnen, daß bey der eclipsi Solis annular, der Discus Solis durante annulo merklich grösser geschienen als vorher oder hernach, wie ich gantz deutlich wahrgenommen, so bin ich vollkommen zufrieden. Denn daraus folget unwiedersprechlich, daß die radii Sols, so dicht am Mond vorbey giengen, etwas gebogen worden. On nun diese Beugung von einer atmosphaera Lunae verursacht worden, oder wie einige wollen ab attractione Lunae, wie die Newtonianer die inflexionem lucis erklären, darüber werde ich nicht streiten. Allein da ich die Attraction als eine qualitatem corporom internam nicht glaube, so stehe ich in den Gedanken, daß auch die inflexio luminis von einer besonderen Beschaffenheit des Aethers um die Coerper herrühre, welche ich kein Bedenken trage unter dem Nahmen einer Atmosphaer auszudrücken, und in diesem Sinn sage ich auch, daß um den Mond eine Atmosphaer befindlich sey, welche zwar wie ich gewiesen habe so subtil ist, daß sie diesen Nahmen kaum zu verdienen scheinet. Ich nehme allso keine anderen Antheil an dieser Dispute, als insofern das phaenomenum annuli zugegeben oder geläugnet wird.

Ich habe die Ehre mit aller Hochachtung zu verharren


Ewr. Hochedelgeb.

Berlin, d. 25 Dec.
    1751.

gehorsamster Diener
L. Euler



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